
Nichts passt: Der Frust mit den Kleidergrößen
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"Help", das Ö1-Konsumenten- magazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Radio Österreich 1
Einer britischen Studentin mit Konfektionsgröße 42 (britische Größe 14) bei einer Körpergröße von 1,80 Meter ist der Geduldsfaden gerissen: sie veröffentlichte ein Selfie aus der Umkleidekabine von H&M auf Facebook. Es zeigt sie in Jeans der Größe 44 (britische Kleidergröße 16), die nicht passen. "Ich bin nicht dick", schrieb sie, "Warum macht ihr so unrealistisch enge Hosen - H&M, kriegt das in den Griff!". Ihr Posting erhielt binnen eines Tages über 90.000 Likes.

"Die Schnitte werden immer kleiner"
Ein Lokalaugenschein auf der Wiener Mariahilfer Straße zeigt, dass auch hier Kundinnen den Eindruck haben, dass sie bei internationalen Modeketten wie H&M, Zara, Bershka und Forever 21 zwei Nummern größer brauchen würden als bei anderen Geschäften. Diese trendigen Marken seien kleiner geschnitten, um ein Image von "Schlanksein ist schön" zu schaffen, vermuten die durchwegs jungen Kundinnen.
"Die Passform kann je nach Style, Schnitt und Material variieren", so das schwedische Textilhandelsunternehmen H&M in einer Stellungnahme gegenüber Help.ORF.at. Man arbeite in allen 62 Ländern, in denen H&M Niederlassungen hat, mit denselben Maßen und Größensystemen.
Der Trick mit den "Schmeichelgrößen"
"Es gibt auch einen gegenläufigen Trend", sagt Jutta Pemsel, Fachobfrau für Modehandel in der Wirtschaftskammer im Gespräch mit help.ORF.at. "Wir beobachten seit Jahrzehnten, dass die Konfektionsgrößen größer werden und was früher eine 38 war, jetzt eigentlich eine 40 ist“. Lege man Hosen der Größe 38 aus dem Jahr 2016 und 1980 übereinander, so sei die heuer gekaufte Hose deutlich größer, obwohl bei beiden 38 drinnen steht. Diese Größenkennzeichnung soll den Kundinnen schmeicheln, übersichtlicher wird es dadurch nicht.

Auch bei der Modekette Esprit setzt man auf die Schmeicheltaktik. Das Unternehmen räumt auf Anfrage von help.ORF.at ein, dass bei einzelnen Produkten eher lockere Passformen möglich seien. "Wir haben die Skala für die Konfektionsgrößen erst vor wenigen Jahren wieder überprüft und nehmen auf durchschnittliche Körperformen und Kundenwünsche Rücksicht", so Esprit.
Frauen heute: größer und breiter
Die Körpermaße haben sich tatsächlich in den vergangenen Jahrzehnten geändert. Die Durchschnittfrau ist größer und breiter geworden: Ein Zentimeter mehr bei der Größe, vier Zentimeter bei der Taille und 2,3 Zentimeter beim Brustumfang. Das hat die bisher größte Reihenmessung "Size Germany" im Auftrag der Industrie 2008 in Deutschland ergeben.
Bei den Männern hat die Körpergröße gegenüber 1980 sogar um drei Zentimeter zugenommen, der Brustumfang um sieben Zentimeter und der Taillenumfang um vier Zentimeter. International produzierende Modeketten vertrauen aber lieber den eigenen Größentabellen als der deutschen Reihenmessung.
Einheitliche EU-Konfektionsgrößen als Lösung?
Auch die EU hat sich vor drei Jahren in das Wirrwarr mit den verschiedenen Kleidergrößen eingeschaltet, die auch noch je nach Land verschieden sind. Eine Petition an das Europäische Parlament setzte sich dafür ein, ein EU-weit einheitliches System für Konfektionsgrößen zu schaffen, das alle nationalen Systeme ersetzt. Die Arbeitsgruppen für diese neue Konfektionsnorm kommen aber nur schleppend voran.

„Wie sich bisher herausstellt, steckt der Teufel sehr im Detail", so Expertin Pemsel von der Wirtschaftskammer. Die Materie sei so komplex, dass sich bei konsequenter Normierung Größen ergeben würden, die fünfstellig oder sechsstellig sind. "Das ist für die Produktion erschwerend und aus Kundensicht auch verwirrend.“ Claus Bukowsky von der Jeansschneiderei Gebrüder Stitch sieht hingegen einen Vorteil, weil mit einem einheitlichen Normensystem grenzüberschreitend gearbeitet werden könne.
Wer auf Nummer sicher gehen will, kommt um das Anprobieren der Kleidungsstücke bisher nicht herum. Im schlimmsten Fall bleibt der Umtausch, auch wenn es darauf keinen gesetzlichen Anspruch gibt.
Karin Fischer, help.ORF.at
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Erstellt am 25.06.2016.